Moderation
deutsch
Mode, Kleidung hat für mich etwas mit dem Wunsch zu tun, aus der Haut fahren zu wollen, die von allem Anfang nicht meine eigene ist. Immer schon gesellschaftlich kodiert - nach sozialem Status, sexueller Attraktivität, Gruppenzugehörigkeit - ist diese Haut eine Schnittstelle zwischen mir und meiner Umgebung. Sie ist der Schauplatz, an dem fortwährend darüber verhandelt wird, wie man mich zu sehen wünscht und wie ich gesehen zu werden wünsche, eine Bühne, auf der das Drama einer Gesellschaft mit ihren Hoffnungen und Ängsten, Projektionen und Verdrängungen in seiner aktuellsten Form ausgetragen wird und in dem ich mich selbst als Protagonist zu behaupten trachte.
Als Modeschöpferin gehe ich daher nicht von einem Modellkörper aus, den ich nach ästhetischen Idealvorstellungen, scheinbar ewig gültigen Kriterien von Schönheit und Eleganz herauszumodelieren und zu erhöhen trachte. Auch geht es mir nicht um die Schaffung exklusiver Marker distinguierten Geschmacks, egal ob glamourös oder minimalistisch. Mich interessiert vielmehr die zweite Haut als Knautschzone, in der verschiedene Kleidersprachen, Rollenbilder, Begehrlichkeiten zueinander in Beziehung treten, miteinander kommunizieren, gegeneinander polemisieren, sich wechselseitig kommentieren usw. Insofern sehe ich meine Tätigkeit eher als eine Art Anleitung zur Moderation. Einer Moderation allerdings, die weniger abmildert, ausgleicht, abschwächt, sondern die verschiedenen Meinungen und Haltungen aufeinanderprallen läßt, gewisse Positionen polemisch übertreibt, provokante Fragen stellt und scheinbar absurde Zusammenhänge unterstellt, bis das Gemisch Bedeutungen offenbart, die die zum Ideal- oder Verkaufsimage zugerichtete Einzelgestalt gerade verleugnen wollte.
So verstehe ich auch die Produkte, die ich herstelle, als Einwürfe und Zu-Sätze, als individuell verwendbare Accessoires, um dem unabschließbaren Gesellschaftsdrama Mode ein paar spannende neue Szenen abzugewinnen. Diese Zusätze können die Trägerin zwar nicht aus ihrer fremden Haut befreien, aber diese Haut ausweiten, wenden, in Falten legen und mit Sollbruchstellen versehen, kurzum: ein Stück öffentlichen Raum schaffen, in dem sie keine Begegnung scheuen muß, auch wenn sie sich nicht mit geläufigen Rollenbildern panzert. Die Klischees können wir getrost den Avataren des Cyberspace überlassen.
Wenn ich für meine Arbeit als Designerin irgendwelche Grundsätze hätte, so könnten sie vielleicht folgendermaßen lauten:
+ Immer darauf achten, daß die Form nicht perfekt wird, der Entwurf unfertig bleibt. Wohlgekleidete Menschen sind tot - Frau Bankdirektor! Frau Kunstkurator! - wie das Geld, das Sie in Ihren Panzerwagen transportieren, wie die Kunst, die sie in Ihren weißen Würfeln ausstellen.
+ Immer dafür sorgen, daß der (Selbst-)Entwurf genügend Platz läßt, damit andere Entwürfe dazwischen treten, dazwischen reden können. Wer will schon monologisieren?
+ Sich immer von der herrschenden Norm absetzen. Kalkulierte Abweichungen, Ausbuchtungen, Risse und kleine Makel sind (jedenfalls in Deutschland) stets gut, um ein Gespräch zu beginnen: "Achtung, Ihre Naht geht auf!", "Sie haben sich bekleckert!", "Ihre Jacke ist falsch zugeknöpft!"
+ Immer eine (ironische) Distanz zwischen das Kleidungsstück und seine Trägerin bringen. So wird die Kleidung offen für alle möglichen Bedeutungen, nicht nur die, die ihr der Designer oder die Trägerin zubilligen. Lässig ist, was vieles zuläßt!
+ Formschöne oder überraschende Schnittlösungen und Farbkombinationen zu finden, ist des Designers Geschäft. Sein Glück ist, gewitzt in das jeweilige Modesystem zu intervenieren. Das stellt sich erst ein, wenn ein Stück geglückt zum Tragen kommt.
english
For me, fashion, clothing has to do with the desire to jump out of the skin that has never been my own. From the very beginning coded by society - with regard to social status, sexual attractiveness, group affiliation -, this skin constitutes an interface between myself and my environment. It is the site of a continuous negotiation about how others want to see me and how I want to be seen by them, a stage where the drama of a society with its hopes and anxieties, its projections and repressions gets staged in its most up-dated form and in which I seek to prevail as a protagonist.
Therefore, as a fashion designer, I do not start from a model body, trying to shape and heighten it according to fixed aesthetic ideals, some ostensibly eternal criteria of beauty and elegance. Nor am I concerned with creating exclusive markers of distinguished taste, whether glamorous or minimalist. Rather, I am interested in the second skin as a crumple zone where different dress codes, role models, desires meet, communicate with each other, polemicize against each other, comment on each other, etc. In this sense, I see my work as a kind of training for moderators - a type of moderator, however, who is less into smoothing over or mitigating things but who makes different opinions clash, polemically exaggerates certain positions, asks provoking questions, and insinuates seemingly absurd connections, until the mixture starts to reveal meanings whose denial was the very purpose of the stylized individual figure.
Consequently, I perceive the gadgets I produce as interceptions and additions, as individually employable accessoires for wresting some exciting new scenes from the incessant social drama of fashion. These additions cannot free the person wearing them from her or his alien skin, but they can extend this skin, turn it around, fold it, and equip it with predetermined breaking-points, so as to create a strech of public space, in which you can face any encounter without having to armour yourself with role models. Let's leave the cliches to the avatars of cyberspace..
If I had any principles for my design work, they might be something like this:
+ Always watch out for the form never to become perfect, for the design to remain incomplete. Well-dressed people are dead - listen, bank managers! art curators! - like the money transported in your armoured cars, like the art exhibited in your white cubes.
+ Always take care that the (self)design leaves enough space for other designs to step in, to add their own statements. Who wants to talk in monologue?
+ Always set yourself off from dominant norms. Calculated deviations, bulges, tears, and little flaws are (at least in Germany) always good starting points for conversation: "Watch out, your seam is bursting!", "You've spilled something down yourself!", "Your jacket, it's buttoned up wrongly!"
+ Always put an (ironic) distance between the outfit and its wearer. This way clothing becomes open to all kinds of meanings, not just those attributed to it by the designer or wearer. Casual is what catches the occasion.
+ To find formally and aesthetically striking cuts and color combinations is the designer's business. What makes her happy are shrewd interventions in the fashion system. This can only be attained if her product is creatively employed by its wearer.